Ein Exemplar dieser sehr seltenen Festschrift habe ich in der
Sächsischen Landesbibliothek in Dresden gefunden. Auf dem
Hinterdeckel ist eine Schlagschach-Studie
in Diagrammform und ohne Autorangabe abgedruckt, man geht wohl
zu Recht davon aus, dass dieses Stück von Paul Schellenberg
stammt, dem Verfasser des Kalenders. Die Studie ist eine Art Pionierarbeit,
stellt sie doch die erste ihrer Art in der Literatur dar, die
den modernen Schlagschachregeln entspricht.
Hans Klüver propagiert das
Schlagschach in Deutschland
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es nur wenige
Anhänger und Propagandisten des Schlagschachs. In England
war es Thomas R. Dawson und in Deutschland Hans Klüver, die
mit kleinen Publikationen (wie im Deutschen
Wochenschach 1924) bzw. mit eigenen Studien und Problemen
das Schlagschach im Gespräch hielten, später gesellte
sich dann Karl Fabel hinzu. Ein besonders gelungener Beitrag aus
"Schachmatt" 1948, verfasst von H. Klüver, sei hier ebenfalls
vorgestellt: Schlagschach-Seite.
Ebenfalls in Schachmatt (Blatt 92, 18.07.1948) findet
sich eine damals gespielte, offenbar unvollendete Schlagschachpartie,
"die erste Partie aus einem Viererturnier zwischen H. Hofmann,
Fr. Jung, Dr. J. Niemann und A.H. Kniest". Hier das Partiefragment:
Fernpartie 13.6.1948 - 9.7.1948
Weiß: A.H. Kniest, Frankfurt/M.
Schwarz: H. Hofmann, Bayreuth
1. c2-c3 e7-e6
2. a2-a3 Lf8xa3
3. Ta1xa3 Dd8-h4
4. Ta3xa7 Dh4xh2
5. Th1xh2 Ta8xa7
6. Th2xh7 Th8xh7
7. Dd1-a4 Ta7xa4
8. e2-e4 Ta4xe4
9. g2-g3 Te4xe1
10. g3-g4 Te1xc1! Wer gewinnt?
"Hier sind T.R. Dawson und W. Karsch der Ansicht, dass Weiß
gewinnen muss, während Dr. K. Fabel Schwarz Gewinn einräumt!
Wie nun? Vielleicht erklären sich T.R. Dawson und W. Karsch
bereit, die Partie zu Ende zu spielen, und zwar so, dass hierbei
die schwarzen Steine - Dr. K. Fabel führt! Ich sehe weder
für Weiß noch für Schwarz eine glatte Gewinnmöglichkeit."
(A.H.K. in Schachmatt 116, 15.2.1949)
Ein kleiner Exkurs zu "Qui perd
gagne"
Der Begriff "Qui perd gagne", heute im Französischen
für "Schlagschach" etabliert, taucht schon sehr
früh in der Schachliteratur auf, allerdings mit anderer Bedeutung,
nämlich der des Selbstmatts. Bereits im
Alexandre [i.e. Aaron Alexandre: Problèmes
d'Echecs, 1846] finden sich eine Reihe von Selbstmatt-Problemen
mit der Diagramm-Unterschrift "Qui perd gagne", und
selbst im Partieschach ist dieser Terminus verschiedentlich aufzuspüren:
Einzelne Fernschachpartien zwischen Paris und Marseille im Jahre
1880 wurden à la "qui perd gagne" ausgetragen,
mit dem Partieziel des Selbstmatts, sie sind dokumentiert in Antoine
Demonchy, Une Centaine de Fins de Parties Inverses (Marseille,
1882). Der amtierende ICCF-Präsident Eric Ruch [1] hat die
alte "unverdauliche" französische Partienotation
in moderne Notation übertragen, siehe Correspondence
Chess Reminiscence No 4 (bzw. diese PDF-Datei
S. 6-11). Eine dieser Self-Mate Chess-Partien
ist auch in D.B. Pritchards The Classified Encyclopedia of
Chess Variants (2007) reproduziert (Kap. 10.9, S. 85f.),
als Quelle ist dort Brentano's Chess Monthly, Jan. 1882
angegeben.
Ein 2011 erschienenes Jubiläumsbuch des Schachklubs Utrecht
- Robert Beekman: 125 jaar Schaakclub Utrecht 1886-2011
- ist auf dem Vorderdeckel überschrieben mit "Qui perd
gagne!". Die tiefere Bedeutung dieses Titels klärt ein
Zitat von A.G. Olland auf S. 17 des Buchs, ergänzend hat
mich Schachfreund Peter de Jong (NL-De Meern) hierzu informiert:
Mitte des 19. Jh. gab es in Utrecht einen Schachklub "Utrechtse
Schaakvereeniging", der sich in den 1880er Jahren mangels
Interesse auflöste. In der vereinslosen Phase 1880-1886 haben
sich allerdings Mitglieder des alten Klubs noch weiterhin privat
getroffen, zu diesen Spielabenden ist auch der sehr junge Olland
(*1867) gestoßen. Olland hat später viel über
diese Zeit geschrieben und vermerkt, dass sie an den erwähnten
Abenden auch "Qui perd gagne" gespielt haben. Man darf
vermuten, dass es sich hier ebenfalls um Self-Mate Chess und nicht
um Schlagschach gehandelt hat. Zusammen mit einigen älteren
Mitgliedern und jüngeren Spielern war Olland dann der Mitgründer
des Schaakclub Utrecht von 1886.
Bei älteren Erwähnungen von "Qui per gagne"
in der Schachliteratur ist daher wohl immer das Selbstmatt(-Schach)
gemeint, vereinzelt kommt der Terminus in diesem Sinne sogar noch
in der Literatur des (frühen) 20. Jh. vor. Zumeist dürfte
sich die Bedeutung aus dem Kontext ergeben.
[1] Eric Ruch hat auch ein Buch zur Frühgeschichte des Fernschachs
geschrieben:
L'histoire du jeu d'échecs
par correspondance au XIXe siècle
Volume I: Des origines à 1840
Zweiter Band der Reihe chess
FEE=NIX history
EDITIONS feenschach – phénix,
Aachen 2010
Details
zum Buch
Leider ist es bei diesem ersten
Band geblieben, ein Fortsetzungsband bislang nicht in Sicht.
Erste Website zum Schlagschach
von Stanislav Goldovski
Im Jahre 1997 schuf der der gebürtige Russe
Stan Goldovski, der im rheinischen Köln lebte, die erste
Website zum Thema Schlagschach. Durch seinen tragisch frühen
Tod verwaiste die nicht ganz fertig gestellte Homepage, inzwischen
existiert ein online-Backup unter http://poincare.matf.bg.ac.rs/....
John Beasley schrieb einen kurzen Nachruf auf Stan Goldovski in
Variant Chess (issue 31, Spring 1999, p39): Nachruf
- die dort erwähnte Partie des Giveaway Wizard gegen
eine Auswahl von 6 Schlagschachspielern finden Sie in Variant
Chess 30, Winter 1998, S.
20-21).
Die Zeitschrift "Variant Chess"
Diese Zeitschrift ("the journal of the British Chess Variants
Society", Untertitel: "The magazine to broaden your chess
horizons"), die 1990 gegründet wurde, hat sich ab 1993
auch vermehrt dem Schlagschach gewidmet und damit maßgeblich
zum Aufschwung dieser populären Schach-Variante ab Mitte
der 90er Jahre beigetragen. Bis etwa Ende 2000 ist eine deutliche
Zunahme der Studien-Produktion festzustellen (vor allem durch
Fabrice Liardet und John Beasley), nach Erscheinen meines Schlagschach-Buches
und John Beasley's Bibliographie wurden Publikationen auf dem
Gebiet Kunstschach in VC allerdings immer seltener. Die
Berichterstattung über Schlagschach-Turnierereignisse (z.
B. die erste inoffizielle Weltmeisterschaft in Utrecht 2001) sowie
die Weiterentwicklung elektronischer Endspiel-Datenbanken wurde
aber fortgesetzt. Mit Heft 64 (August 2010) erschien die letzte
Ausgabe der Zeitschrift, für deren weitere Produktion keine
redaktionelle Nachfolge gefunden werden konnte.
Aus Variant Chess 10, IV-VI 1993, sei hier die erste Seite eines
Artikels von Peter C. Wood vorgestellt, der mit einer Zusammenfassung
der Schlagschach-Geschichte beginnt: Vinciperdi
Alle 64 Ausgaben des Variant Chess magazine (1990-2010)
gibt es als PDFs zum Download auf www.mayhematics.com/v/v.htm.
Ein bizarres Schlagschach-Retro
Diese Aufgabe ist nicht in meinem Schlagschach-Buch enthalten.
Sie war seinerzeit Gegenstand eines Preisausschreibens in feenschach
(fs 51, VII-IX 1980, S. 416; feenschach-preisrätsel No. 6),
fand aber über Jahre hinweg keinen Löser. Schließlich
wurde die Lösung doch veröffentlicht in fs 93, XI-XII
1989 (S. 213), d. h. erst 9 Jahre später! Dies ist auch der
Grund, weshalb ich dieses Problem von Werner Frangen nicht
aufgenommen hatte, ich war auf der Suche nach der Lösung,
die ich in einem der nachfolgenden fs-Hefte erwartet hatte, einfach
nicht fündig geworden.
Die Problemforderung lautet:
Schlagschach: welches ist die kürzeste Beweispartie
(kBP), die aus der Partieanfangsstellung (PAS) zu einer Stellung
führt, die 18 Damen (16 durch B-Umwandlung) hat?!
Nachstehend die Lösung einschließlich der grotesken
Schlußstellung:
1.g3 b6 2.h4 a5 3.Sf3 Sc6 4.Lg2 Lb7 5.Kf1 Ta6
6.Kg1 Da8 7.Kh2 Kd8 8.Kh3 Kc8 9.Dg1 Kb8 10.Sc3 Sf6 11.Sd1 Se8
12.Se3 Lc8 13.Kg4 Da7 14.Kg5 Sd8 15.h5 a4 16.Sh2 Se6 17.b4! Sxg5
(Jetzt muß wTa1 nach g2 gehen!) 18.La3 Se6 19.Sf3 Kb7 20.Th3
Kc6 21.Lh1 Lb7 22.Dg2 La8 23.Tg1 Db8 24.Df1 (Tg8) 25.Tg2 (Th8)
26.Sg1 (Tg8) 27.Sd1 (Th8) 28.Lc1 Kd5 29.b5 g5 30.bxa6 Sd6 (jetzt
Th8 nach c8!) 31.(De1) Lh6 32.(Df1) c6 33.(De1) Tc8 34.(Df1) Dc7
35.(De1) Dd8 36.(Df1) Sf8 37.Lb2 Ke6 38.Ld4 b5 39.La7 Lg7 40.Se3
Lb2 41.Sd1 La3 42.(De1) Ke5 43.(Df1) Se8 44.(De1) Ld6 45.(Df1)
b4 46.Sb2 a3 47.c4! axb2 48.(Dd1) Lc7 49.De1 Kd6 50.Sf3 g4 51.a4!
gxh3 52.Tg1 b3 53.g4 Ke6 54.Le3 Ld6 55.(Tf1) La3 56.(Tg1) Kd6
57.Lh6 Se6 58.(Tf1) Tb8 59.a7 Tb6 60.(Tg1) S6c7 61.(Tf1) Sa6 62.(Tg1)
Ke6 63.Lf4 Sb4 64.g5 Sg7 65.h6 f5! 66.hxg7 De8 67.c5 h5! 68.cxb6
Kd5 69.a5 Sa2 70.a6 c5 71.Le3 c4 72.(Tf1) d6 73.(Tg1) Lc6 74.(Tf1)
La4 75.b7 Dd8 76.g6 Ke6 77.(Tg1) Kd7 78.Sg5 h2 79.Tg3 Ke8 80.Sh3
Ld7 81.f3 Le6 82.Lh6 Lg8 83.Sg5 (Kd7) 84.Df1 f4 85.d4! fxg3 86.e3
c3 87.Sh3 c2 88.(Lg2) Sc3 89.(Lh1) Sa4 90.Lg2 h4 91.e4 (Ke8) 92.Ld2
(Kd7) 93.De2 Ke8 94.Sf4 b1=D 95.Sd3 (Da2) 96.De3 (Db1) 97.Lh3
(Da2) 98.Lg4 (Db1) 99.Lh5 (Da2) 100.Dh6 (Db1)
[Diagramm
I] 101.Sf4 (Da2) 102.Le3 Lb4 103.(Sh3) La5 104.(Sf4) Lc7
105.Sd3 Dd7 106.(Ld2) Dh3 107.(Le3) Le6 108.a8=D Kd7 109.Da8-h8
(Db1) 110.Dh8-h7 Ke8 111.a7 Lc4 112.Sf4 Dd7 113.(Ld2) Dd8 114.Sh3
Dd7 115.Sg5 Sb2 116.(Le3) Sd3 117.(Ld2) b2 118.(Le3) Sb4 119.(Ld2)
Sa6 120.(Le3) Da4 121.(Sh3) Daa1 122.(Sg5) La5 123.(Sh3) Lb4 124.(Sg5)
La3 125.Sh3 Sb4 126.Ld2 Sa2 127.La5 Kd7 128.a8=D (Lb5) 129.Dah8
(Lc4) 130.Lb6 Sb4 131.(Sg5) Sa6 132.(Sh3) Lb4 133.De3 (Lb5) 134.D7h6
(Lc4) 135.D8h7 Ke8 136.(Sg5) Sb8 137.(Sh3) Lf1 138.Sg5 Sc6 139.d5
e5! 140.dxc6 Lb5 141.c7 La4 142.Sh3 Ke7 143.Dh8 Ke6 144.Dh6-h7
(Lb5) 145.De3-h6 Kf5 146.exf5 La3 147.La5 (La4) 148.Sg5 (Lb5)
149.Se6 (La4) 150.Sd4 exd4
[Diagramm II] 151.f6
d3 152.f7 d5 153.f4 d4 154.f5 g2 155.Dh7-g8 Le7 156.Dh6-h7 Lg5
157.Dg8-f8 g1=D 158.Lb4 Lc6 159.b8=D Lg2 160.Db8-c8 Le3 161.f6
Dg1-c1 162.Le7 h1=D 163.Df8-e8 Dc1-d2 164.Dh8-f8 Db1-e1 165.g8=D
b1=D 166.Dh7-g7 Db1-c1 167.Dc8-b8 h3 168.Lg4 h2 169.Le6 Dh1-g1
170.Ld6 h1=D 171.De8-c8 Dd2-e2 172.Df8-d8 d2 173.Dg8-e8 d1=D 174.f8=D
De1-d2 175.Dg7-e7 Dg1-e1 176.g7 Le4 177.g8=D d3 178.f7 Ld4 179.De8-d7
Dd2-e3 180.Df8-e8 d2 181.f8=D De2-d3 182.De8-f7 Dd1-e2 183.Dd8-e8
d1=D 184.Dc8-d8 Dc1-d2 185.c8=D c1=D
[Schlußstellung
= Diagramm III]
Günter Lauinger schrieb als Prüfer dazu:
"Ich habe die BP und die Diagramme auf Plausibilität geprüft.
Aber wer soll prüfen, ob dies tatsächlich die kBP ist?
Angesichts der vielen Wartezüge könnte durchaus noch
eine Verkürzung möglich sein. Das Irre an der Sache
ist aber, daß die Stellung überhaupt erspielbar ist.
M. E. noch um einiges schwieriger als Nr. 2875 in der Schwalbe.
Ich schlage daher vor, die Löser, welche unter 200 Züge
bleiben, in die (Trost-)Preisverlosung miteinzubeziehen. Eine
Fragestellung ohne Diagramm (einfach: 18 DD im Schlagschach in
185,0 Zügen) läßt zwar die Löser ausflippen,
macht aber die ganze Geschichte noch unübersichtlicher, weil
es wohl mehrere erspielbare Stellungen mit 18 DD (= Gruppensex!!)
+ 4 LL gibt. Beispiel siehe Diagramm!"
Diagramm I
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Diagramm II
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Diagramm III
Schlußstellung
|
GL: alternative
Schlußstellung
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Dawson's Chess
Für die Freunde der Schachmathematik: Die Schlagschachaufgabe
von T.R. Dawson - auf S. 99f. meines Schlagschachbuchs - ist
weiter analysiert worden von Thomas S. Ferguson, sein diesbezüglicher
kurzer Artikel A
Note on Dawson's Chess (PDF) sei hiermit ergänzt.
Losing Chess in proof games
Seit Mitte der 1980er Jahre rücken Schlagschach-Retros
- insbesondere Beweispartien - immer mehr in den Vordergrund,
im neuen Jahrtausend dominieren sie völlig das Gebiet der
Schlagschach-Komposition. Einen Überblick haben Bernd Gräfrath
und Paul Rãican in einer Artikelserie "Losing Chess
in proof games" gegeben, veröffentlicht in Quartz
35 (August 2010):
A) "Some basic themes" by Bernd Gräfrath, p.
585-588;
B) "The Eighties in Losing Chess" by Paul Rãican,
p. 589-593;
C) "Thematic tournament Qui perd gagne" by
Paul Rãican, p. 594-595.
Die Artikel sind als PDFs verfügbar auf quartz.chessproblems.ca/.
Neues Schlagschach-Buch
Ende 2018 ist ein neues Schlagschach-Buch erschienen:
Vladica Andrejić: The Ultimate Guide to Antichess
geb., 256 S.
Informator Verlag, Belgrad, Serbien
Ladenpreis in Deutschland: 39,80 €
Verlagsangabe: 49$
Das Buch richtet sich an Partiespieler und widmet sich schwerpunktmäßig
der Eröffnungstheorie.
Weitere Informationen mit verlinkten Leseproben auf perpetualcheck.com/antichess/.
Verlagsseite: https://sahovski.com/...